Nachgefragt bei Patricia Merz 

 

Von: Ines Michel 

 

Seit über zehn Jahren sitzen Patricia Merz und Frédérique Rol gemeinsam im Boot. Auf ihrem Weg haben die beiden vieles erleben und einige Erfolge feiern dürfen. Aber es gibt Ereignisse im Leben, die so einschneidend und schwerwiegend sind, dass von einem Moment auf den anderen nichts mehr so ist wie vorher.  

Die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Paris war aufgegleist, bis der plötzliche Tod ihres Trainers Robin Dowell im Dezember 2022 alles auf den Kopf stellte.  

In diesem Interview erzählt uns Patricia mit bemerkenswerter Ehrlichkeit, wie sie das vorolympische Jahr erlebt hat, welche Herausforderungen es mit sich brachte, wo sie aktuell steht und wie es weitergehen wird.  

 

Patricia, aktuell wirst du von einer, für Ruderer typischen, Rippenverletzung ausgebremst. Was ist passiert? 

Für mich kam diese Verletzung überraschend. Klar sagt man, dass Rippenverletzungen typisch für Ruderer sind. Aber eigentlich sollte man nicht davon  ausgehen, sich früher oder später eine solche Verletzung zuzuziehen.        

Meistens brechen Rippen aus Ermüdung aufgrund sich wiederholender Trainingsbelastung. Gleichzeitig haben wir im Boot viel Belastung auf dem Brustkorb. Bei mir hat es sich angefühlt wie ein verkrampfter Rücken, der Ort meiner Verletzung ist atypisch.  

Zuerst habe ich etwas im Krafttraining bemerkt. An den Weltmeisterschaften habe ich dann das Boot länger halten müssen und hatte wahrscheinlich eine ungünstige Position. Da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Nach der WM bin ich dann zum Arzt gegangen und da wurde festgestellt, dass der Rücken nicht nur verspannt ist, sondern eine Rippe gebrochen. Vielleicht habe ich das auch ein bisschen gebraucht.  

 

Was meinst du damit? 

Wenn ich aus der ganzen Situation noch etwas Positives ziehen soll, dann war es jetzt der beste Zeitpunkt für eine solche Verletzung. Und gleich muss ich sagen, dass ich mich rückblickend nicht sehr darüber wundere. Das letzte halbe Jahr war immer was los. Und mir fällt es eigentlich immer schwer, wirklich runterzukommen, richtig Pause zu machen und nicht zu trainieren. Mit der Verletzung habe ich nun keine andere Wahl.  

 

Wie fühlst du dich heute? 

Jetzt, nach zwei Wochen schonen, spüre ich fast nichts mehr. Das macht es mir nicht ganz einfach, mich noch weiter zu schonen. Ob der Bruch gut verheilt, ist schwierig zu beurteilen. Aus Erfahrung weiss man, dass ein Knochenbruch in etwa sechs Wochen ausheilt. Das wird wahrscheinlich auch bei mir nicht anders sein. Ich habe zwar noch die Hoffnung, dass es etwas schneller geht, aber es braucht einfach Geduld. Gleichzeitig bin ich froh, dass es mir so gut geht.  

 

Klingt nach einem zähen Abschluss einer schwierigen Saison - das Jahr 2023 hat von Beginn an viele Herausforderungen an euch gestellt. Nach dem plötzlichen Tod von Robin im Dezember 2022 ist kein Stein mehr auf dem anderen geblieben und ihr habt euch neu organisieren müssen. Was ist seitdem passiert? 

Nach dem Unfall von Robin war uns klar, dass es nicht einfach wird. Wir haben uns bewusst Zeit genommen, das Erlebte zu verarbeiten. Ich war froh, dass Fréd immer bei mir war. Sie hat ja genau das Gleiche erlebt und so konnten wir uns austauschen.  

Wir haben in den darauffolgenden Wochen jemanden gesucht, der uns betreut, und Paola kennengelernt. Sie hat uns aufgefangen und mit nach Varese genommen. Dort hat uns dann der ganze Club unterstützt. Es hat eine super Trainingsanlage und ein Medical System welches uns zur Verfügung gestellt wurde. Wir sind darüber sehr froh gewesen und konnten dann recht schnell wieder mit dem Training anfangen.  

Aber ich habe auch gemerkt, wie sehr mir Jeannine und  Robin fehlten. Das habe ich vielleicht auch unterschätzt. Das zu akzeptieren hat mich sehr viel Energie gekostet. Auch heute kann ich noch nicht sagen, wieviel genau in dieser Zeit liegengeblieben ist. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir dran sind und es vorwärts geht. Aber gleichzeitig hatten wir zwei Monate, in denen wir nicht richtig trainierten und dennoch einfach müde waren.

Da bin ich realistisch: So besteht man nicht gegen die besten  Leichtgewichtsdoppelzweier der Welt. Als ich mich wieder auf den See traute, haben die anderen probiert, im Training Weltrekorde zu fahren.  

 

Die vorolympische Rudersaison ist mittlerweile vorbei. Hand aufs Herz: Wo steht ihr aktuell?

Ich bin froh um diese Frage, denn so kann ich von  „innen“ erzählen. Fakt ist, dass wir an den Weltmeisterschaften auf den zehnten Rang ruderten und zu den besten Booten eine rechte Lücke hatten.  

Die ganze Saison über waren wir von unseren Leistungen her nicht dort, wo wir eigentlich sein wollten. Das war nicht einfach, wir sind immer hinterhergehinkt.  

Gleichzeitig haben wir viel Zeit miteinander verbracht und gemerkt, dass uns eine Pause   voneinander guttun würde. Manchmal muss man auf dem Weg wieder zusammenfinden. In Luzern haben wir gespürt, was möglich sein könnte.  

Die darauffolgenden acht Wochen haben wir nochmals Vollgas gegeben, um an den Weltmeisterschaften den  Quotenplatz zu holen. Das hat zwar nicht gelangt, aber hat uns beide sehr motiviert.

 

Inwiefern?

In dieser Zeit haben wir einen grossen Sprung machen können. Physisch und im Boot haben wir uns wohl gefühlt und zusammen besser funktioniert.  

Ich weiss nicht, was wirklich möglich ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich schon alles gezeigt habe, was in mir steckt. Es ist noch etwas da und die Challenge ist, das abzurufen.  

 

Gibt es noch andere Möglichkeiten, sich für die Olympischen Spiele in Paris zu qualifizieren? 

An der Qualifikationsregatta in Luzern kommenden Mai gibt es noch Quotenplätze zu gewinnen. Alle Nationen, welche noch keinen QP haben, können dort starten. Die ersten zwei Boote gewinnen dann einen QP. Das ist auch  unser Ziel.  

 

Seit 2011 seid ihr im Doppelpack unterwegs. Seit letztem Jahr ausserhalb der Verbandsstrukturen. Wie ist es dazu gekommen? 

Mit Ian als neuem Nationaltrainer gab es auch eine neue Trainingsphilosophie, mit der ich mich nicht anfreunden konnte. Hauptsächlich war es das Gefühl, dass wir nicht mitentscheiden konnten und uns Sportlern auch nicht wirklich zugehört wurde. Es wurde etwas vorgegeben und du funktionierst oder du funktionierst eben nicht.  

Mit 20 habe ich das noch gut gefunden. Aber mittlerweile bin ich an einem Punkt, wo ich nicht mehr nicht mitdenken kann. Ich wollte für das, was ich mache, die Verantwortung übernehmen. In den Verbandsstrukturen war das für mich nicht mehr möglich.  

 

Was muss passieren, dass du wieder ins Trainingssystem des Verbandes einsteigt? 

Da muss nichts passieren. Ich  schätze es sehr, wie wir jetzt  trainieren - selbst herauszufinden, was wir brauchen, uns zu organisieren und selbstständig zu entscheiden, wann und wo wir trainieren. Und ich schätze es, dass wir nicht immer nach Sarnen müssen.  

Klar ist das eine zusätzliche Challenge. Es ist auch nicht einfach. Vor allem nicht, wenn man sieht, dass das Trainingssystem funktioniert und die Athletinnen schnell sind. Aber für mich ist es nicht der Weg, um jeden Preis schnell und erfolgreich zu sein. Ich möchte mir treu bleiben, zeigen können, was ich mache, und das auch weitergeben können.  

 

Aber die Trainingsphilosophie scheint aufzugehen. Der SRV blickt auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Gibt es nach der Saison eine Standortbestimmung? Die WM ist vorbei und wir hatten drei Wochen Ferien. In dieser Zeit habe ich noch nicht viele Leute ge- sehen. Wir werden uns mit dem Verband zusammen-     setzen müssen. Aktuell weiss ich nicht, ob man immer noch so offen ist wie bisher und uns machen lässt. Aber wir sind uns immer noch klar, dass wir nur so unseren Weg weiter gehen wollen.  

 

Erhaltet ihr Unterstützung vom Verband?

Ein paar Tage vor Robins Unfall gab es ein Meeting. Das war das erste Mal, wo wir wirklich richtig zusammengefunden hatten. Wir alle haben das gleiche Ziel und darum sollten wir uns nicht gegenseitig im Weg stehen. In diesem Moment war alles wie geklärt.  

Nach Robins Unfall haben wir den Support vom Verband gespürt. Wir hatten uns zwar gegen das Verbandssystem entschieden, aber der Verband wäre für uns da gewesen, hätten wir irgendwas gebraucht. Das hat mir persönlich wirklich viel gegeben. Es gibt im Leben einfach wichtigere Sachen als zu streiten.  

Es liegt wohl eher an uns. Wir wollen unabhängig sein und darum probieren wir, möglichst alles selbst zu machen. Aber wenn es zum Beispiel um Bootstransport geht oder Support beim Wettkampf, ist der Verband da und unterstützt uns.  

 

Werdet ihr oft für eure Entscheidung kritisiert? 

Ab und an müssen wir uns erklären und in müden Momenten ist das schwieriger. Aber inzwischen weiss ich: Würden die Kritiker meine Sicht zu 100% sehen, könnten sie unsere Entscheide anders einordnen und vielleicht auch verstehen. Darum ist es für mich auch in Ordnung. Ich habe gelernt, damit umzugehen, und nicht mehr das Gefühl, dass ich mich für etwas recht- fertigen muss. Uns ist einfach wichtig, dass wir uns treu bleiben.  

 

In der Schweiz gibt es noch einen weiteren leichten Doppelzweier. Man könnte doch zusammen trainieren?

Es ist eine spezielle Situation und es hat viele Gespräche mit dem Verband gebraucht. Irgendwann sind wir darauf gekommen, dass wir alle das schnellste Schweizer Boot an den Olympischen Spielen stellen möchten. 

Wir glauben daran, dass wir, wenn wir alles zusammenbringen, die schnellsten sind, und unser Weg, ausserhalb der Verbandsstrukturen, der richtige. So hat es sich ergeben, dass wir nicht zusammen trainieren. Unsere Türen in Varese stehen immer offen. Aber ich weiss auch, das ist für die beiden anderen Sportlerinnen unrealistisch.  

 

Somit gibt es dann also doch nicht das schnellste Schweizer Boot? 

Wir fahren regelmässig Seat Races in allen Kombinationen. So finden wir heraus, welches die schnellste Doppelzweierkombination ist. Am Schluss möchte ich nur in einem Boot sitzen, wenn ich es auch schneller mache. Klar, mein Ziel ist es, mit Fréd an den Olympischen Spielen zu starten. Aber wenn es eine andere Kombination ist, dann ist es eben eine andere Kombination.  
 

Wenn man bedenkt, wie oft es im Ruderboot zu Reibereien kommt, könnten einige Clubmitglieder mit deiner Einstellung etwas Mühe haben…  

Es ist tatsächlich auch ein wenig kontrovers. Wenn Fréd und ich mal ein schlechtes Rennen haben oder langsamer sind, dann glauben wir nicht direkt, dass wir generell langsamer sind. Zehn Jahre gemeinsames Training kann man nicht einfach so ablegen. Wir sind immer wieder zusammen aufgestanden. Aber klar, es gibt auch Situationen, wo man denkt, vielleicht wäre ich oder sie mit jemand anderes schneller. Das ist dann aber sicherlich noch nicht der Punkt, wo man alles aufgibt.  

Wir sind genug lang dabei, um zu erkennen ob wir langsamer sind, weil wir es in dem Moment nicht auf die Reihe bekommen, oder weil unsere Kombination vielleicht doch nicht passt.

Gleichzeitig weiss ich auch, dass dich der Teamgedanke schneller macht. Wir wollen unbedingt zusammen erfolgreich sein. Das führt aber auch dazu, dass man anderen Kombinationen wohl eher kritisch gegen- übersteht. Das bringt sicherlich keine Geschwindigkeit. Das wissen alle Sportlerinnen und das steht natürlich im Raum.  

 

Die Konkurrenz im leichten Doppelzweier erscheint erdrückend. Früher habt ihr euch sicher für den Final   qualifiziert, heute kämpft ihr um den Finaleinzug. 

Genau das bringt uns manchmal zur Verzweiflung. Es gibt definitiv Sachen, wo wir uns noch verbessern müssen. Und dann gibt es Sachen, wo wir denken: „Wow, da sind wir so gut wie noch nie“. Aber niemand bemerkt es, weil die anderen einfach noch besser und schneller sind.  

Wir tauschen uns regelmässig nach den Rennen mit den anderen Sportlerinnen aus und viele haben das Gefühl, sie sind schneller unterwegs, aber bringen tut das gar nichts. Das ist ein Stück weit auch beruhigend. 

Die aktuelle Leistungsdichte ist enorm, es spitzt sich einfach zu. Man kann sich nichts leisten und selbst dann ist es nicht sicher, dass man es ins Final schafft.  

Die Bootsklasse ist tough, aber wir möchten auch dort sein und vorne mitfahren. Das spornt mich an.  

 

Beeinflusst die Situation euer Training oder die Trainingsplanung? Wir schauen immer, was die Konkurrenz macht. Aber es ist auch wichtig, nicht gleich alles auf den Kopf zu stellen. Grundsätzlich haben wir rausgefunden, was uns schnell macht. Solange wir aber bei uns selbst noch Verbesserungspotenzial sehen, wollen wir uns von anderen nicht beeinflussen lassen.  

Die Monate nach dem Tod von Robin haben wir nicht die Intensität und Umfänge fahren können, die andere gemacht haben. Wir waren uns dessen bewusst, waren aber schlicht  nicht in der Lage, mehr zu geben - es war keine Energie da. Die Umfänge und Intensitäten konnten wir bis heute steigern. Jetzt liegt es an Paola, zu analysieren und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir werden dann gemeinsam schauen, wo wir noch ansetzen können.  

Auch technisch gibt es immer was zu optimieren. Ich glaube, niemand kann sagen, dass er perfekt rudert. Wir haben in der letzten Saison viel umgestellt. Das macht das System im ersten Moment instabil, und bis man sich im Boot wieder richtig wohl fühlt, braucht es einfach Zeit. Erschwerend kommt hinzu, dass man unter Umständen nicht mehr das gleiche Feedback im Boot hat. Normalerweise spüren wir das Boot gut und sind uns einig, wann es gut oder weniger gut läuft. Dieses Gefühl hatten wir gegen Ende der Saison auch wieder.  

 

Hast du immer im Bug gesessen? 

Wir hatten mal eine Phase, wo im am Schlag sass. Aber im Rennen fühlen wir uns mit der aktuellen Aufgabenverteilung wohler. Fréd zieht einfach konstant ihr Ding durch, egal was rechts oder links passiert. Ich schaue mich eher um und kann antreiben. Und ich kann mich gut anpassen. Ohne Fréd würde ich am Start wahr- scheinlich völlig überpacen.  

 

Wie geht es nach Paris weiter? 

Wir denken häufig an die Zeit nach Paris, aber vielleicht nicht so, wie das viele erwarten. Unser Projekt haben wir nicht nur zum Erreichen unserer sportlichen Ziele lanciert, wir wollen mehr bewegen. Mir ist  wichtig, unseren Weg zu teilen und auch den jüngeren Sportlern etwas mitzugeben.  

Sportlich gesehen - von meiner Seite her - ist nach Paris Schluss.  

Klar, ich sage niemals nie. Aber wir haben noch viele weitere Ideen, welche wir gerne mit unserem Team verfolgen würden. Auf dem Wasser an  einer Weltmeisterschaft oder an Olympischen Spielen sieht man uns wahrscheinlich nicht mehr im Doppelzweier.

 

Abschlussfrage: Wie können wir euch unterstützen? 

Die grösste Unterstützung ist, wenn Menschen sich trauen, Fragen zu stellen, und unseren Weg verfolgen. Es macht mir einfach riesig Freude, wenn ich etwas geben kann.  

Und vom See-Club habe ich immer das bekommen, was ich gebraucht habe. Es ist schön, dass es im Club immer noch einfach bleibt. Einige Sachen sind vielleicht komplizierter geworden, der Club ist fast ein Unternehmen, das geführt werden muss.  

Aber ich kann in den Club gehen und fühle mich noch genau so, wie ich mich als Juniorin gefühlt habe. Zu wissen, dass ich immer fragen kann und Unterstützung erfahre, das ist toll.  

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