Der Junioren-Achter nimmt Fahrt auf. 

 

Von: Ines Michel / Stephan Wiget

 

Heute ist kein optimales Ruderwetter. Wenn ich aus dem Fenster schaue, ist das Wetter alles andere als ansprechend. Ein Wetter, um es sich irgendwo drinnen gemütlich zu machen. Ein typischer grauer, nasskalter Dienstag Ende Februar eben. Dennoch eine kurze WhatsApp- Nachricht von Headcoach Stephan: „Wir planen heute um 16:30 Uhr ein erstes Achtertraining“.  

 

Ein ganz besonderes Training. Ein ganz besonderes Projekt.  

 

Nach und nach trudeln die Jungs im Clubhaus ein. Ein solches Training bringt einiges an organisatorischem Aufwand mit sich. Wer einmal versucht hat, einen für alle passenden Termin für ein Mannschaftsboot zu finden, weiss, was ich meine. Insgesamt finden sich für das Training heute zehn Personen ein - neun Sportler und Headcoach Stephan im Beiboot. Achtertrainings zu terminieren kann schwierig sein. Bei der aktuellen U17-Gruppe hat sich aber eine gute Trainingsregelmässigkeit ergeben. Das funktioniert unterdessen recht gut.  

 

Heute geht es darum, ein Gefühl für das Boot zu bekommen und für die Mannschaft. Ein kurzes Training ist angesagt. Speditiv wird das Boot für das Training bereit gemacht. Ohne viele Worte wird Asun behutsam aus dem Bootshaus getragen und auf die Böcke gesetzt.  

 

Der Achter mit Steuermann oder Steuerfrau (M8+ / W8+) ist die schnellste aller Bootsklassen im modernen Ruder-sport. Es wird immer mit Riemen gerudert. Neben dem Einer gilt der Achter als Königs-disziplin.  

 

Beim Achter kommt schon ganz viel Power zusammen. Dann ist es auch eine grössere Herausforderung, aus 9 Personen eine funktionierende Mann-schaft zu formen. Wenn es funktioniert, ist es dann umso mehr ein ganz spezielles Erlebnis.

 

Der Achter ist also eine besondere Bootsklasse, überdies mit einer langen olympischen Geschichte. Teil dieser Mannschaft zu sein, ist ein Privileg und auch für die jungen Regattierenden keine Selbstverständlichkeit. Das Achterprojekt soll möglichst viele Sportler ansprechen und steht grundsätzlich allen offen.

 

Jeder hat eine Chance. Wer sie packt, sitzt am Schluss im Boot.

 

Die Mannschaftsbildung ist ein andauernder Prozess, der über die ganze Saison läuft und ca. 2 Wochen vor der Schweizermeisterschaft abgeschlossen wird. Die Türe bleibt also lange offen und Entwicklungen können berücksichtig werden. Ein Platz in der Mannschaft ist etwas, das man sich erarbeiten kann.  

 

Die Mannschaftsbildung lange offen zu halten, bringt aber auch Nachteile mit sich. Laufende Wechsel können die Entwicklung der Mannschaft stören. Die stärksten Ruderer als Kern konstant im Boot zu haben sorgt für die nötige Stabilität. Der Vorteil, erst kurz vor dem Rennen zu entscheiden wer im Boot sitzt, liegt aber ebenfalls auf der Hand:  Die schnellstmögliche Mannschaft steht am Start. Ebenfalls können Ruderer auch mal kurzfristig ausfallen. Darauf muss man ebenfalls vorbereitet sein.

 

Sorgfältig und vielleicht auch ein wenig ehrfürchtig stellen die Sportler ihren Ruderplatz ein.  

 

Der Schlagvierer ist „italienisch“ geriggt (Backbord, Steuerbord, Steuerbord, Backbord). Das hat damit zu tun, dass der Schlagvierer auch Vierer ohne fährt, und auch dieser Vierer so geriggt ist. Der Bugvierer ist dann klassisch geriggt (abwechselnd Steuerbord / Backbord).

 

Ebenfalls bereit macht sich  Steuermann Rafael Vega. Gute Steuerleute zu finden ist nicht ganz einfach. Im aktuellen U17-Team hat sich mit Rafael eine gute Lösung ergeben, die für ihn, die Mannschaft und auch für den Trainer gut passt. Wer mit Rudern anfängt, strebt vermutlich nicht von Beginn weg eine Karriere als Steuermann / Steuerfrau an. Es ist aber auch eine spannende Herausforderung, die viel Verantwortung mit sich bringt. Heute liegt es an Rafael, das Boot zu steuern und die Kommandos zu geben.

 

Als Steuermann trägt er für die Sicherheit der Mannschaft Sorge.  

 

Im Training ist er der verlängerte Arm des Coaches. Im Wettkampf führt der Steuermann die Mannschaft durch das Rennen. Idealerweise kann der Steuermann / die Steuerfrau Verantwortung übernehmen, eine Mannschaft führen, die    richtigen Inputs geben und mit-helfen, dass das Boot läuft und die Mannschaft „performen“ kann.  

 

Als Steuermann / Steuerfrau sollte man den Sport ver- stehen, Stress- und Wettkampfsituationen lieben und glaubhaft rüberbringen können, dass man darauf brennt, alles aus sich und der Mannschaft herausholen zu wollen. Auch sollte der Steuermann / die Steuerfrau Zuversicht und Glauben an die eigenen Fähigkeiten und Stärken ver-mitteln können und natürlich ein Gespür für den Rhythmus und das Boot haben. Wer das kann,ist geeignet.  

 

Durch ein Lautsprechersystem wird sichergestellt, dass die Kommandos überall im Boot zu hören sind. Im Gegensatz zu den Ruderern ist Rafael warm eingepackt. Er wird die nächsten anderthalb Stunden stillsitzend im Bug verweilen.  

 

Nach knapp zehn Minuten sind alle Einstellungen erledigt. Es folgt ein kurzes Briefing vom Coach, die Jungs sind still und hören aufmerksam zu: Konzentration auf das Wesentliche, die Basics. Einfache, solide Arbeit und keine Unnötigen Bewegungen. Zuerst nicht stören, dann antreiben - es wird nicht viel geredet. Im Verlauf des Trainings wird sich zeigen, wo Handlungsbedarf besteht.  

 

Dann geht es aufs Wasser.  

 

Beim heutigen Training sitze ich nach dem altbewährten Zwiebelsystem warm und regenfest eingepackt neben Stephan im Trainerbeiboot. Sicher ist sicher. Während Stephan das Trainerbeiboot mit routinierten Handgriffen auf den See steuert, tragen die Jungs den Achter zu Wasser. Zügig finden die Ruder ihren Platz in den Dollen, gemeinsam wird vom Steg abgestossen - der Achter legt ab.  

 

Der See ist aufgewühlt, das Wetter instabil. Die ersten paar Minuten sollen die Sportler das Gefühl für das Boot bekommen. Halbe Rollbahn ist angesagt. Und saubere Ruderführung. Die Leistung, die am Schluss rausschaut, ist das Resultat von vielen Faktoren. Physis, mentale Fähigkeiten, technische Fertigkeiten, Teamwork, alles spielt mit und beeinflusst die Leistungsfähigkeit der Mannschaft. Entsprechend wird auf allen Ebenen gearbeitet.  

 

Wie sich was entwickelt, ist oft nicht absehbar. Was bleibt, ist einfach; daran zu arbeiten.

 

Stephan coacht mit Hilfe einer Flüstertüte. Klar und deutlich, gradlinig und hartnäckig. Von den fordernden Anweisungen bin im ersten Moment überrascht und ein wenig erschrocken.

 

Ich erinnere mich an einen Vergleich, den ein bekannter Schweizer Sportwissenschaftler auf die Frage nach unterschiedlichen Winning Mindsets von Spitzensportlern einmal anstellte. Er verglich den typischen US-amerikanischen Spitzensportler mit einem Pitbull: selbstbewusst am Start stehend, mit gefletschten Zähnen, strotzt er vor Aggressivität, springt noch vor dem Startsignal los und hegt keine Zweifel daran, dass er der Sieger sein wird. Der typische Schweizer Sportler hingegen sei wie ein Golden Retriever, der noch kurz vor dem Start an seinem Rivel-la blau nippt, geduldig wartet, bis die Ampel längst dunkel-grün zeigt, um dann besonnen und gemächlich in den Wett-kampf zu starten.  

 

Headcoach Stephan ist definitiv kein Golden Retriever. Aber sein Coaching kommt an. Die Sportler schätzen die unmiss-verständlichen Feedbacks, bei denen sich Stephan häufig einer bildreichen Sprache bedient. Die Metapher eines Gummibaums macht etwa auf simple Weise deutlich, woran der Sportler gerade arbeiten sollte: an seiner Körperspannung.  

 

Nach und nach läuft das Boot besser – es wird auf ganze Rollbahn gewechselt. Das Wetter schlägt um, es beginnt zu regnen. Es ist kalt und ungemütlich, stärker werdende Wellen sorgen für zusätzliche Bewässerung von unten. We-der den Sportlern, noch dem Coach merke ich das leiseste Unbehagen an. Es wird stoisch weitertrainiert und an der Grundlage eines erfolgreichen Achters gefeilt: das Boot zu stabilisieren.  

 

Eines der Kernthemen ist, zu verstehen, dass das Ruder Kraft nur übertragen kann.

 

Die Energie steckt in der Mannschaft, nicht im Ruder. Das Blatt bleibt stehen und die ganze Länge des Ruders sollte als Hebel wirken und Kraft an die Dolle bringen. Der Bewegungsablauf im Rudern ist nicht komplex. Hingegen ist es nicht so einfach, das Zusammen-spiel Ruderer / Ruder / Boot  zu begreifen und richtig wahrzunehmen.  

 

Es gibt die Tendenz, sich auf den Bewegungsablauf zu fokussieren. Das ist die naheliegende und einfache Herangehensweise. Ob ein Bewegungsablauf aber auch wirkt, also das Boot bewegt, ist eine Frage der Verbindungen. An der Wirksamkeit der Bewe-gungen zu arbeiten, ist relativ abstrakt. Da läuft vieles über Intuition, Vorstellungskraft und Gefühl. Dann ist im Rudern alles verkehrt. Hinten ist vorne, links ist rechts und wir schauen nicht in die Richtung, in die wir uns bewegen. Das macht es auch nicht einfacher.

 

Man muss unter anderem bereit sein, sich von der naheliegenden Vorstellung, wie Rudern funktioniert, zu lösen.

 

Gegen Ende des Trainings dürfen die Sportler dann nochmals Gas geben.  

Die Schlagzahl wird erhöht, in den einzelnen Ruderschlag wird mehr Kraft gelegt. Zügig geht es Richtung Zuger Bucht. Headcoach Stephan ist zu-frieden. Oft ist die Mannschaft zu Beginn eines Trainings noch nicht fokussiert und bei der Sache. Wenn es gelingt, dass im Verlauf des Trainings sich alle „einklinken“ und zum Schluss das Boot richtig gut in Fahrt kommt, dann hat das Training seinen Zweck erfüllt. Im heutigen Training ist das gegen Ende gelungen.

 

Das erste Achter-Training ist erfolgreich beendet, das nächste folgt schon am darauffolgenden Wochenende.  

Der erste richtige Einsatz, die Generalprobe sozusagen, war nicht mehr lange hin. Am 1. April ging der Juniorenachter des See-Clubs Zug in Lugano an den Start und gewann die Bronzemedaille.  

 

Starkes und qualitativ gutes Achterrudern in einem funktionierenden Team zuverlässig in Rennen anwenden können: das ist das Ziel. Resultate sind eine logische Konsequenz.

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