Interview mit Andri Struzina
Von: Ines Michel
Andri Struzina hat eine Traumsaison hinter sich. Nach zweimal Weltcup-Silber in Zagreb und Varese, einem Heim Weltcupsieg in Luzern und der Bronzemedaille bei den Europameisterschaften, schnappt sich Andri zuletzt den Weltmeistertitel im Leichtgewichts-Einer nach einem anspruchsvollen Rennen souverän vor dem Italiener Niels Torre und dem Polen Artur Mikolajczewski. Wie hat Andri das Rennen erlebt, wo steht er auf dem Weg nach Paris und was hat er für Pläne und Ideen? Viele gute Gründe, bei Andri mal genauer nachzufragen.
Andri, das war ein geniales Rennen in Belgrad.
Vielen Dank! Es freut mich immer sehr, wenn Menschen meine Rennen verfolgen und mit Begeisterung dabei sind. Es ist nicht alltäglich, dass dem Rudersport viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Darum ist das schon was Besonderes.
Wie hast du das WM-Rennen erlebt?
Es ist schwierig, mich genau daran zu erinnern. Es kommt mir vor wie ein Film, wo gewisse Sequenzen einfach fehlen. An was ich mich allerdings noch erinnern kann, sind die schwierigen Bedingungen auf dem Savasee. Schon im Halbfinal hatten wir mit Seitenwind von Steuerbord zu kämpfen. Es war anspruchsvoll, auf den ersten 500 Metern sauber zu rudern. Ich wusste: Ich muss mich auf meine Technik konzentrieren und nicht einfach nur mit Power arbeiten. Bei den Wasserbedingungen war klar: Der Ruderer, der die Blätter am wenigsten an den Wellen anschlägt, wird schneller sein. Vor dem Rennen haben wir sogar noch die Rudereinstellung geändert. Um eine höhere Frequenz schlagen zu können und Wind und Wellen weniger Widerstand zu bieten, haben wir die Ruder kürzer gemacht. Das hat sehr gut funktioniert.
Der Italiener ist mit ordentlich Tempo ins Rennen gestartet…
Das stimmt. Nach dem Start ist der Italiener recht schnell weggezogen und war dann nach etwa 700 Meter knappe zwei Längen vor mir. Aufgrund meiner Leistungen im Viertel- und Halbfinal konnte ich die Situation gut einordnen. Ich wusste, dass der Italiener viel zu schnell angeht und das Tempo nicht halten kann. Hätte er das Tempo halten können, wäre er der verdiente Weltmeister gewesen. Aber das glaubte ich nicht. Darum bin ich auch nicht verunsichert gewesen. Ich bin ruhig geblieben und wusste, dass ich mein Ding machen muss. Ich glaube, das ist der Schlüsselmoment des Rennens gewesen.
Nach Rennhälfte habe ich dann gemerkt, dass ich auf den Italiener auffahre. Und dann war für mich klar: Jetzt muss ich durchfahren. Wenn ich dieses Momentum richtig nutzen kann, dann ist es für den Italiener ganz schwierig zurückzukommen. An einer solchen Situation kann man mental zerbrechen. Ich konnte dieses Momentum für mich nutzen und bin am Italiener vorbeigezogen.
Respekt hatte ich noch vor dem Polen auf meiner linken Seite. Er war recht lange auf Angriffsdistanz und kann sehr gut sprinten. Aber er ist nie wirklich näher gekommen.
Und dann habe ich langsam angefangen, alles zu geben – einfach all in. Ich habe klar gemacht, dass ich heute der Schnellste bin.
Letztlich war ich wirklich froh, dass ich am Schluss des Rennens nicht mehr sprinten oder einen Angriff abwehren musste. Darauf wäre ich zwar vorbereitet gewesen. Aber ich hätte nicht gewusst, wie das Rennen dann ausgegangen wäre.
Wie hast du dich gefühlt, als du realisiert hast: Heute werde ich Weltmeister?
Lange war ich nicht sicher, dass ich gewinne. Erst auf den letzten Metern habe ich gewusst: Jetzt gewinne ich. Im Vorfeld eines Rennens stellt man sich bewusst vor, wie es wäre, wenn man gewinnt. Dass man dann eine Jubelpose macht oder laut schreit. Aber in dem Moment, als ich über die Ziellinie fuhr, war ich einfach nur leer. Es hat lange gedauert, bis ich wirklich verstanden habe, was passiert war.
Wann hast du realisiert, was du erreicht hast?
Erst als meine Freunde und Familie mir gratulierten und mir klar machten, was ich da gerade erreicht hatte. Da verstand ich langsam, was passiert war.
Wirklich greifen konnte ich das Erlebte aber erst spät abends, als ich allein in meinem Hotelzimmer sass. Den Moment werde ich nie vergessen, das war einfach mega.
Auch heute gibt es noch Tage, an denen mir alles wieder bewusst wird. Der Gewinn des Weltmeistertitels ist ein viel zu grosses Erlebnis, um es in einem Moment zu erfassen. Ich glaube, dass sich das Erlebte über die nächsten paar Monate noch mehr entfalten wird.
Und es gibt immer wieder Momente, in denen ich merke, was der Gewinn des Weltmeistertitels für eine Bedeutung hat, wie hart ich dafür gearbeitet habe und das es nicht selbstverständlich ist, dass am entscheidenden Tag alles so funktioniert, wie man es sich vorstellt hat. Dann bekomme ich das Gefühl von Stolz, Befriedigung und Motivation weiterzumachen.
Weitermachen ist ein gutes Stichwort: Wie geht es nach dem Gewinn einer Weltmeisterschaft weiter?
Ich trainierte nicht, um Weltmeister im leichten Skiff zu werden. Ich trainiere, um Olympiasieger zu werden. Für mich als Ruderer ist der Gewinn einer Olympiamedaille das grösste sportliche Ziel. Der Weltmeistertitel ist für mich ein Zwischenschritt.
Der leichte Einer ist nicht olympisch, aber der leichte Doppelzweier ist aktuell noch im olympischen Programm vertreten. Der SRV hat mit Jan Schäuble und Raphael Ahumada in dieser Bootsklasse zwei Athleten am Start, welche ebenfalls auf eine erfolgreiche Saison zurückblicken dürfen. Wie gehst du mit der Situation um?
Raphael, Jan und ich sind ein Team und unser Boot ist für die Olympischen Spiele qualifiziert. Zwei von uns werden in Paris starten. Wir alle wollen mit dem Schnellsten im Boot sitzen und auch der Trainer schaut auf die Leistung. Am Schluss ist es so: Wenn ich schneller bin, sitze ich mit im Boot. Ich selbst sehe mich in diesem Doppelzweier und das ist ganz klar auch mein Ziel.
Aber aktuell sitzt du nicht in diesem Boot?
In den letzten zwei Jahren habe ich es nicht geschafft, mich für diesen leichten Doppelzweier zu qualifizieren. Ich war oftmals verletzt und in den wichtigen Momenten mental nicht bereit. In den Momenten, wo es wirklich hart wurde, konnte ich nicht zeigen, was ich wirklich kann. Ich weiss, dass ich besser sein könnte, und das hat mich zusätzlich motiviert.
In den vergangenen zwei Jahren, in welchen ich mich auf mich fokussieren konnte, habe ich viel lernen können. Ich habe meine Ernährung so umgestellt, dass es für mich passt. Mental bin ich viel weiter. Rudertechnisch habe ich mich ebenfalls entwickelt. Ich rudere für den Körper schonender und effizienter. Zusammen mit dem sportlichen Erfolg gibt mir das einen guten Mix aus Selbstvertrauen und Motivation.
Ist das nicht frustrierend für dich?
Es ist hart, wenn du so gut bist und die anderen einfach noch das Quäntchen Glück für ihre Kombination im Zweier haben. Wenn wir individuell gemessen werden, bin ich nicht die Nummer drei.
Aber in der letzten Zeit war ich meist die Nummer drei, wenn es darum ging, den Doppelzweier richtig schnell zu machen. Egal welche Kombination wir versuchten, die Zeiten variierten innert einer Sekunde. Und Jan und Raphael waren in Kombination meistens die Sekunde schneller.
Mental ist es eine echte Herausforderung, die Motivation zu behalten und einfach nicht aufzugeben.
Ist es von Vorteil, wenn man ein eingespieltes Team ist?
Klar, die beiden anderen haben einen Vorteil, weil sie in der Kombination erfahren sind. Sie wissen genau, wie es sich im Boot mit dem anderen zusammen anfühlt. Das ist schon ein Vorteil.
Aber ihr trainiert zusammen?
Richtig. Während der Saison ist die Bootseinteilung zwar gefixt, aber wir trainieren trotzdem zu gleichen Zeiten. Ich im Skiff, Raphael und Jan im Doppelzweier. Ab und an rotierte der Doppelzweier auch, aber bei höchstens 10% der Wassertrainings. Im Winter sind wir alle im Einer oder im rotierenden Doppelzweier unterwegs. Das wird wahrscheinlich bis Ende Februar so bleiben.
Wann wird entschieden, wer in Paris im Boot sitzen wird?
Anfangs März finden die Trials statt. Dort fahren wir Ergometertests, Skiffrennen und Doppelzweier-Seat Races. An den Trials wird entschieden, welche Kombination an den Olympischen Spielen starten wird.
Bis dahin ist alles offen. Die Stärke, mich aus eigener Kraft für das Boot zu qualifizieren, habe ich. Ich muss es einfach noch zeigen können.
Wäre Gian nicht ein guter Partner für einen weiteren leichten Doppelzweier?
Das haben mich schon viele Leute gefragt. Klar, diese Option ist naheliegend. Es gibt viele Geschwisterkombinationen, die von Anfang an gut funktionieren. Allerdings verfolgt der Verband eine andere Philosophie. Wir können nicht bestimmen, mit wem wir im Boot fahren möchten. Wir müssten uns vom Verband lösen. Der Weg dorthin wäre mit vielen Hürden verbunden und sehr energieaufwendig. Aber an den Schweizer Meisterschaften wird man uns sicher nochmals gemeinsam sehen.
Solltest du es Ende nächsten März nicht in den leichten Doppelzweier schaffen, könntest du die Bootsklasse wechseln.
Das ist richtig. Als gutes Leichtgewicht kann man auch bei den Schweren mitfahren. Aber ein Wechsel in die schwere Bootsklasse ist definitiv mit Risiken verbunden.
Ich bin nicht automatisch auf den 72 Kilogramm, ich muss mich bewusst ernähren. Würde ich nicht auf meine Ernährung achten, würde ich wahrscheinlich knapp 80 Kilogramm wiegen. Das wäre für die schwere Bootsklasse aber zu leicht und ich müsste Gewicht gewinnen, +/- 85 Kilogramm wären wahrscheinlich gut. Das würde ich vielleicht auch hinbekommen. Aber wie mein Körper darauf reagiert, weiss ich nicht.
Ebenfalls musst du im Boot mehr Kilos bewegen, die Masse merkt man. Ein Leichtgewicht rudert anders als ein Schwergewicht. Mehr Masse bedeutet nicht zwangsläufig mehr Geschwindigkeit. Das korreliert nicht einfach miteinander.
Und zum Schluss setze ich Input und Output noch in Relation. Damit es unterm Strich stimmt, muss mit meinem aktuellen Trainingsprogramm an der WM- oder den Olympischen Spielen eine Medaille realistisch sein. Es ist zum Teil nicht mehr angenehm, ein solches Pensum zu trainieren. Ich weiss nicht, ob ich meinem Körper das nochmals antun möchte.
Aber das Trainingspensum eines Leichten ist ja nicht weniger fordernd…
Das ist richtig, aber die leichte Bootsklasse wird nach Paris nicht mehr olympisch sein. Und ich trainiere, um bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Der Entscheid für die schwere Bootsklasse würde indirekt bedeuten, nach Paris nochmals vier Jahre dranzuhängen. Ich weiss nicht, ob ich dazu bereit bin. Es wäre schön, wenn ich im Leichtgewicht einen versöhnlichen Abschluss finden könnte.
2028 wird erstmals der Coastal Rowing Beach Sprint in das olympische Programm aufgenommen.
Die Bekanntmachung, dass der Beach Sprint bei den Spielen in LA ausgetragen wird, ist aktuell noch so frisch wie ein Neugeborenes. Da wird sich sicherlich noch einiges in meinem Kopf tun. Es gibt keine Gewichtskategorie, ich müsste nicht mehr so penibel auf die Ernährung achten. Ebenfalls denke ich, dass das Training physisch nie so hart wäre wie jetzt – du musst einfach anders trainieren.
Grundsätzlich sage ich niemals nie. Wenn man eine Olympiamedaille gewinnt, dann interessiert es niemanden, ob es eine junge olympische Sportart ist. Das reizt mich schon sehr. Und das Knowhow wäre in unserer Familie ebenfalls vorhanden.
Allenfalls gibt es noch weitere Ideen für die nächsten Jahre?
Neben dem Wechsel in die schwere Bootsklasse oder ins Coastal Rowing habe ich darüber nachgedacht, die Sportart zu wechseln.
Einerseits ist es einfacher, in der Ruderfamilie zu bleiben. Der Weg wäre geebnet, ich kenne die Leute und weiss, wie es läuft. Andererseits bin ich sehr polysportiv und könnte meine Ausdauer und mein Leistungsvermögen sicherlich auch in einer anderen Sportart unter Beweiss stellen. Darüber werde ich nochmals in Ruhe nachdenken.
Eigentlich möchte ich Spitzensportler auf Weltklasseniveau bleiben, denn das mache ich gerne. Ich liebe es, für ein Ziel zu trainieren und das auch zeigen zu können.
Und dann studiere ich noch Bauingenieurwissenschaften an der ETH.
Es gibt viele Möglichkeiten und ich hoffe, dass ich irgendwann die richtige Entscheidung treffen kann. Jetzt im Moment bin ich fokussiert darauf, das fertig zu machen, was ich angefangen habe.
Gibt es zum Schluss noch etwas, was du loswerden möchtest?
Ich möchte diese Möglichkeit nutzen, um dem See-Club und dem Vorstand nochmals Danke zu sagen. Ohne den See-Club wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Das ist nicht selbstverständlich und ich schätze das sehr. Egal was passiert: Sicher ist, dass ich dem See-Club Zug treu bleiben werde. Ich bin hier so stark verbunden und möchte in der Zukunft unbedingt etwas zurückgeben können. Darauf freue ich mich.
Andri Struzina erhält den Zuger Sportpreis.